Wir trauern um unseren Autor Walter Kaufmann
19.1.1924 – 15.4.2021

Unser Autor Walter Kaufmann ist am 15.4.2021 im Alter von 97 Jahren in Berlin gestorben.
Walter Kaufmann war ein außergewöhnlicher Mensch mit einer außergewöhnlichen Biographie.

Am 19. Januar 1939 erreicht Walter Kaufmann mit einem der letzten jüdischen Kindertransporte aus Nazi-Deutschland das rettende London. Es ist sein 15. Geburtstag.
Nur kurz währt das Gefühl der Sicherheit in der Internatsschule Bunce Court in Faversham. Im Mai 1940 internieren ihn die britischen Behörden als »Ausländer« in Liverpool.
Mit Zweitausend anderen Flüchtlingen wird er auf dem Gefangenenschiff Dunera nach Australien deportiert. 18 Monate verbringt er in den Wüstencamps Hay und Tatura zwischen Stacheldraht und Wachtürmen.
Obstpflücker, Soldat, Hafenarbeiter, Hochzeitsfotograf, Seemann, Schriftsteller – das sind die nächsten Stationen seines Lebens, das einem Abenteuerroman gleicht. Unter australischen Seeleuten findet er Anschluss an die Gewerkschaftsbewegung, die KP. In Fabriken und im Hafen liest er aus seinen Erzählungen.
1955 kehrt er nach Europa zurück, lebt als Schriftsteller in der DDR.
Er behielt seinen australischen Pass, durfte als Journalist und Schriftsteller ausreisen und verarbeitete diese Erfahrungen in zahlreichen Reportagen und Büchern.
Von 1985 bis 1993 war Kaufmann Generalsekretär des ostdeutschen PEN-Zentrums. Rund 20 Bücher, Romane, Erzählungen oder Reisereportagen sind bis zum Mauerfall von ihm erschienen.

Seine Romane und Reisereportagen erleben hohe Auflagen – und stoßen doch oft an die Grenzen der Zensur. Sein Roman »S« wird vom Verlag fallen gelassen, da er den Mauerbau thematisiert, »Flucht«, eine Geschichte über eine Flucht von Deutschland Ost nach Deutschland West, öffentlich totgeschwiegen. Und auch die Stasi hat ihn im Visier. In seiner Akte finden sich Spitzelberichte prominenter Kollegen.
Seine Auslandsreportagen sind präzise Zeitzeugnisse, hautnah am Leben: Er sitzt im Gerichtssaal in San Jose, als die Jury am 4. Juni 1972 Angela Davis nach spektakulärem Prozess freispricht. 1983, ein Jahr nach dem Massaker von Sabra und Shatila, ist er im Libanon unterwegs.
Israel, einst Hoffnungsland für ihn und seine Eltern, fasziniert ihn, und mit wachem Blick erkundet er es. Der Konflikt zwischen Arabern und Juden erschüttert ihn.
Die gefährlichste Situation erlebt er in Nordirland, wo er knapp einem Bombenattentat entgeht.
Längst als Autor erfolgreich, fährt der Rastlose auf einem Frachter noch einmal zur See, erkundet mit der Entdeckerlust eines Jack London oder Somerset Maugham fremde Ufer, schreibt darüber voller Leuchtkraft und Lebendigkeit.

Mit demselben neugierig-kritischen Blick durchmisst Walter Kaufmann die Spanne von über acht Jahrzehnten in seinem packenden Lebensreise-Bericht »Im Fluss der Zeit – Auf drei Kontinenten«, der 2010 im Dittrich Verlag erschien und das von dem Autor als sein wichtigstes biografisches Werk bezeichnet wurde.

Neues über Walter Kaufmann

Im Herbst 2021 wird der Dokumentarfilm »Walter Kaufmann – Welch ein Leben!« der Filmemacher Karin Kaper und Dirk Szuszies Premiere haben und bundesweit in den Kinos zu sehen sein.

Im Juli 2021 erscheinen die Briefe von Johanna und Sally Kaufmann an ihren Sohn Walter aus den Jahren 1939 bis 1943 »Alles Schreiben hat ja den Zweck, daß wir uns wiedersehen«.

Das Hörfunk Feature »Schade, dass du Jude bist« - Walter Kaufmann - Schriftsteller und Weltenbummler, von Volker Dittrich auf SWR 2, 55 Minuten, 11.4.2014, können Sie hören unter: http://volkerdittrich.eu/hoerfunk-feature/schade-dass-du-jude-bist/

Gregor Gysi würdigt Walter Kaufmann auf facebook:
»Walter Kaufmann ist im Alter von 97 Jahren gestorben. Sein Leben spiegelt die Geschichte des vergangenen Jahrhunderts wider. Vor den Nazis musste er völlig mittellos erst nach GB und dann nach Australien emigrieren. In der DDR spielte er eine sehr wichtige Rolle und nach der Einheit auch in Deutschland. Seine linken Positionen hat er nie aufgegeben. Er war ein großer Schriftsteller und konnte ausgezeichnete Reisebücher schreiben. Sein Verdienst besteht schon darin, dass die Bürgerinnen und Bürger der DDR über ihn Länder kennenlernten, die sie in aller Regel nicht besuchen durften. Er öffnete ihnen die Welt.« (16.4.2021)