Liberalismus mit Gemeinsinn

Die politische Philosophie Nassif Nassars im libanesischen Kontext

  • Erscheinungsdatum: 01.10.2019
  • Buch
  • 404 Seiten
  • 22.2 x 14 cm
  • ISBN 978-3-95832-201-1
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Beschreibung


Ausgehend von einer Kritik der sozialen Wirklichkeit des Libanon entwickelt Nassif Nassar (geb. 1940) eine politische Philosophie, deren Relevanz über den arabischen Raum hinausgeht. Sein Konzept des Liberalismus mit Gemeinsinn fordert zum einen vom Einzelnen ein kritisch-offenes Vernunftdenken ein, das in Abgrenzung zur Absolutheit partikular-gemeinschaftlicher Wahrheitsansprüche bescheiden auftritt. Es soll seine Postulate aus Respekt vor und im alltäglichen Dialog mit den Überzeugungen anderer sowie im Abgleich mit gesamtgesellschaftlichen Interessen kontinuierlich kritisch hinterfragen. Zum anderen verteidigt dieser Liberalismus individuelle Rechte, deren Ursprung Nassar auf ein universelles Menschsein zurückführt.
Aus diesen Prämissen folgt sowohl der Respekt individueller Freiheiten als auch ein staatlich-institutionell gestütztes solidarisches Handeln unter gleichgestellten Personen. Dieses Handeln ist zudem auf sieben intrinsische Werte und damit über Rechtsansprüche hinaus auf ein holistisches Gerechtigkeitsverständnis ausgerichtet. Grundlage einer in diesem Sinne liberal-gemeinsinnigen Gesellschaft ist ein schulischer Philosophieunterricht, in dem der Einzelne in Konversation mit der Philosophiegeschichte zum kritisch denkenden sowie über die Grenzen seiner partikularen Gemeinschaft hinaus solidarisch handelnden Staatsbürger ausgebildet wird.
Dieses Buch ist das erste, das sich mit der Philosophie Nassif Nassars auseinandersetzt. Es zeigt, welch wichtige Rolle (selbst-)kritisches Denken in zeitgenössischen arabischen Diskursen spielt. Zudem illustriert es, wo die ›westliche Philosophie‹ in Nassars Ideenwelt Anschlussmöglichkeiten findet. Denn es scheint, dass in Zukunft auf bestimmte Probleme, die etwa globale Prozesse des sozialen Wandels oder der Verlust sozialer Kohäsionen mit sich bringen, überhaupt nur noch eine transkulturell ausgerichtete Philosophie plausible Antworten liefern kann.

Für »Liberalismus mit Gemeinsinn« wurde Michael Frey mit dem Philosophische Buchpreis 2020 ausgezeichnet. Hier finden Sie einen Mitschnitt der Preisverleihung:

 

Verleihung des Philosophischen Buchpreises 2020 auf dem vimeo-Kanal des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover (Weiterleitung)

Michael Frey


Michael Frey hat in Bern, Damaskus und Beirut Islamwissenschaft und Geschichte studiert. Am Institut für Islamwissenschaft der Universität Bern wurde er 2018 mit einer Arbeit über den libanesischen Philosophen Nassif Nassar promoviert. Zurzeit ist er Wissenschaftlicher Assistent am Forum Islam und Naher Osten (FINO) der Universität Bern.

Pressestimmen


Angesichts der aktuellen Ereignisse im Libanon [...] kann nun vielleicht die politische Philosophie Nassif Nassars der libanesischen Gesellschaft ein Instrumentarium der Reflexion an die Hand geben [...], das zu einem neuen, überkonfessionellen Gesellschaftsvertrag führt, der den »Nationalpakt« von 1943 ablöst. Die vorliegende Studie führt in exzellenter Weise in dieses als Gesellschaftsprojekt angelegte Denken ein.
M. Kneer, Theologie und Philosophie, Vierteljahresschrift 95, 2020 Heft 2.
Michael Freys Buch erscheint zu einer Zeit, in der im Libanon erneut für eine gerechte Verteilung der Macht gekämpft und der religiöse Proporz grundsätzlich in Frage gestellt wird. Es ist dies also ein guter Moment, sich mit einem libanesischen Denker vertraut zu machen, der ein ausgereiftes Werk zu Liberalismus, Demokratie und Gerechtigkeit vorgelegt hat, in das nun zum ersten Mal in einer europäischen Sprache eingeführt wird.
Sonja Hegasy, quantara.de, Jan. 2020.
[Freys] Buch kann aber auch über den libanesischen Raum hinaus Relevanz beanspruchen. Denn Frey belässt es nicht bei der Übersetzung des umfangreichen arabischen Werks des ebenso modernen, wie belesenen arabischen politischen Philosophen Nassar. Dessen ausführliche und weitreichende Erläuterungen führen von Ibn Khaldun bis zu Abdallah Laroui, und von Immanuel Kant über Theodor Adorno bis zu Jürgen Habermas. Das alles macht aus dem nur scheinbar bescheidenen Buch eine politisch-philosophische Fundgrube und bietet dem Laien wie dem Fachmann eine in Umfang und Umsicht wenig bekannte und oft wohltuend neue Sicht auf das Verhältnis zwischen arabischer und europäischer Philosophie im 21. Jahrhundert.
Stefan Wild, Die Welt des Islams 61 (2021).