Die Zeit der Prävention

Eine Genealogie

  • Erscheinungsdatum: 02.10.2017
  • Hardcover
  • 380 Seiten
  • 22.2 x 14 cm
  • ISBN 978-3-95832-131-1
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Beschreibung


Modern zu sein heißt, Prävention zu betreiben. Beginnend im Zeitalter der Aufklärung bis in die jüngste Vergangenheit lässt sich die gemeinsame Entstehungs- und Verflechtungsgeschichte von Prävention und Moderne nachweisen. Die vorliegende genealogisch angelegte Studie zeigt am Beispiel der Krankheitsvorbeugung in Deutschland (und darüber hinaus) auf, auf welchen Wegen unsere Kultur gelernt hat, potenzielle Gesundheitsschäden in der Zukunft als aktuelle Probleme zu behandeln.
Dazu werden zunächst die zwei dominanten Kulturen der Vorbeugung im Zeitalter der Aufklärung untersucht. Während die Diätetik zur Ausbildung eines präventiven Selbstverhältnisses beizutragen versuchte, legte die Medicinalpolicey den Grundstein für die staatliche Gesundheitspolitik. Individuums- und bevölkerungsbezogene Präventionsformen standen sich zu dieser Zeit noch vergleichsweise unverbunden gegenüber. Die Analyse verdeutlicht anhand der Kategorien der Infektionskrankheit, der sozialen Pathologie und der Erbkrankheit, dass erst in den Jahren zwischen 1848 und 1945 langsam ein systematischer Zusammenhang zwischen Individual- und Kollektivgesundheit hergestellt wurde. Abschließend wird die rechtsstaatliche Neuausrichtung des biopolitischen Regierens nach dem Zweiten Weltkrieg diskutiert, in deren Folge die Einschränkung individueller Freiheitsrechte im Namen des kollektiven Gesundheitsschutzes zunehmend als problematisch empfunden wurde, allerdings ohne gänzlich darauf zu verzichten.
In einer Verbindung von Quellen- mit Begriffsarbeit wird in der vorliegenden Arbeit ein charakteristisches Verlaufsmuster in der Geschichte moderner Krankheitsprävention rekonstruiert. Auf diese Weise ist die Arbeit zugleich ein Plädoyer dafür, die soziologische Theoriebildung wieder stärker an die historische Forschung anzubinden. Zudem werden die Probleme und Grenzen biopolitischen Regierens unter den Bedingungen funktionaler Differenzierung einsichtig.
Die Arbeit wurde mit dem Erasmus Prize for the Liberal Arts and Sciences 2017 ausgezeichnet.

Matthias Leanza


Matthias Leanza ist Wissenschaftlicher Oberassistent am Seminar für Soziologie der Universität Basel. Er studierte Soziologie an den Universitäten Bielefeld und Bologna und wurde 2016 von der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg i. Br. promoviert. Bei Velbrück Wissenschaft erschienen: Das Andere der Ordnung. Theorien des Exzeptionellen (2015), hg. zus. mit Ulrich Bröckling, Christian Dries und Tobias Schlechtriemen.

Pressestimmen


[Die] historisch-genealogische Darstellung der Prävention ist die große Stärke des Buches. Wie der Zeitform der Prävention gelingt es auch der Genealogie, die „Metaphysik der Präsenz“ in Frage zu stellen. Hier allerdings gleichsam aus der umgekehrten Richtung: nicht die Zukunft, sondern auch die Vergangenheit als Geschichte dieser Zukünftigkeit prägt unsere Gegenwart. Das etabliert eine reflexive Distanz, die es nicht nur erlaubt – wie Leanza bemerkt –, in kritischer Perspektive die Selbstverständlichkeit von Präventionspraktiken in Frage zu stellen. [...] Es ist eben nicht das x-ste Buch zu präventivem self-tracking und wird, gerade weil es sich von der Unmittelbarkeit der Gegenwart ein Stück weit distanziert, gewiss eine weitaus längere Halbwertszeit haben.
Andreas Folkers, theorieblog.de, 28.03.2019.
Im Fazit ist Die Zeit der Prävention aufschlussreich für alle, die an einer Systematisierung der Zusammenhänge zwischen moderner Staatlichkeit und Vorsorge interessiert sind. Fragen nach der tatsächlichen praktischen Umsetzung dieser Rationalität durch die Bevölkerung sowie ihrer Auswirkung auf die Gestaltung individueller Lebensweisen bleiben in diesem Ansatz konsequenterweise unbeantwortet. Dafür ist Leanza ein Buch gelungen, das in sich heterogene und zeitlich disparate Prozesse auf überzeugende Weise zusammenführt und für die weitere sozialwissenschaftliche Analyse von Vorsorge hochgradig spannende historische Bezüge herausarbeitet.
Meike Wolf, soziopolis.de, 26.06.2018.
Den Sozialwissenschaften bietet Matthias Leanza ein Standardwerk zur Prävention mit einer beeindruckenden historischen Tiefenschärfe, durch die auch sozialwissenschaftliche ›Klassiker‹ neu in den Blick geraten. Sein Band trägt insofern zu einer Reflexion soziologischer Theoriebildung bei. Der Geschichtswissenschaft wiederum eröffnet die Studie als kompaktes Handbuch einen konzisen Forschungsüberblick zum Verhältnis von Gesundheitskonzepten und Gesellschaftsentwürfen in drei Jahrhunderten. Vor allem aber legt das Buch eine Brücke zwischen beiden Fächern. Leanza erkundet mit der »Zeit der Prävention« ein interdisziplinäres Konvergenzfeld, auf dem Sozial- und Geschichtswissenschaften in Zukunft noch enger zusammenarbeiten sollten.
Malte Thießen, H-Soz-Kult, 07.05.2018.
Die Studie ist jedoch nicht nur thematisch, sondern auch methodisch von Bedeutung, indem sie für ganz unterschiedliche bildungshistorische Fragestellungen reizvolle Möglichkeiten der Verbindung bietet.
Patrick Bühler, International Journal for the Historiography of Education, 1-2019.