Wissenschaftliche Evidenz verweist auf ein überzeugendes, verlässliches und methodisch abgesichertes Wissen, auf dessen Grundlage wissenschaftliche, aber auch außerwissenschaftliche Überzeugungen, Entscheidungen und Handlungen gerechtfertigt werden können. Das Buch zeigt, dass Evidenz diese legitimatorischen Funktionen erfüllen kann, insofern sie ein fester, wenn auch ein semantisch und historisch variabler Bestandteil der epistemischen, sozialen und normativen Aushandlungsprozesse – des wissenschaftlichen Ethos – ist.
Evidenz wird in wissenschaftlichen Zusammenhängen unter anderem herangezogen, um wissenschaftliche Hypothesen oder Theorien zu legitimieren, ihre Bedeutung und ihre Funktionen innerhalb des modernen Wissenschaftsverständnis sind jedoch ambivalent und umstritten. Daher nimmt das Buch auch die historische Genese von Evidenz in den Blick, insbesondere in der Etablierung (vor-)moderner Wissenschaftspraktiken in der Chemie im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts. Unter Berücksichtigung einer feministischen Wissenschaftsphilosophie wird daraus auch für die heutige Verwendung von Evidenz ersichtlich, dass sie nicht nur auf epistemischen Verfahren beruht, sondern eng an moralische, soziale, politische, ökonomische, religiöse und philosophische Praktiken gekoppelt ist.
Daniel Füger folgert, dass die legitimierende Kraft von Evidenz nicht nur aus ihren epistemischen Funktionen erklärt werden kann, sondern auf die Interaktion gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Akteur:innen angewiesen ist: Evidenz ist gerade kein wertneutraler Begriff, sondern vermittelt unterschiedliche Wertvorstellungen, Bedürfnisse oder Praktiken, welche sowohl die Inhalte des normativen Settings Wissenschaft setzen als auch eine Basis bilden, unter der Evidenz als solche anerkannt werden kann. Eine – nach den Erfahrungen mit der Covid-19-Pandemie – wissenschaftsphilosophisch wie gesellschaftlich höchst relevante Studie.