Beschreibung
Bestechung und Korruption genießen eine hohe und sich immer noch steigernde Prominenz. Im Rahmen der massenmedialen Berichterstattung und Dokumentation überwiegen dabei stark wertende und moralisierende Beschreibungen und selbst ein Großteil der wissenschaftlichen Arbeiten kann sich, wie sonst bei keinem anderen Thema, dem Bekenntnis zur Gegnerschaft und
der Artikulation von Kampfbereitschaft nicht entziehen. Aber warum ist das so? Verbirgt die verbale Hochrüstung möglicherweise weitreichende, aber unangenehme Erkenntnispotenziale? Dieses Buch lädt zu einem spannenden Gang durch die Geschichte ein. An Hand aussagekräftiger Beispiele von den kultischen Stadtgesellschaften Mesopotamiens über das Mittelalter bis hin zur Moderne, beschreibt Uli Reiter Vorformen, Funktion und Evolution von Bestechung und Korruption – und ermöglicht eine überraschend neue Sichtweise auf das in der Moderne hoch moralisierte Thema. Zugleich liefert er schlüssige Erklärungen und Begründungen dafür, warum diese Problematik so heftig mit Moral überzogen wird, indem er die gewöhnungsbedürftige Frage stellt, ob Bestechung und Korruption nur Probleme erzeugen oder ob sie nicht vielmehr selbst als eigenes, aber subversives Sinnangebot zur Lösung anderer gesellschaftlicher Probleme verstanden werden sollten. Skandalisierung und Moralisierung hätten dann die Funktion, die Sicht auf diese Probleme und ihre Lösungen zu versperren. Ausgehend von persönlichen Erlebnissen, von selbst recherchierten Schilderungen aus dem Alltag von Bestechung und Korruption in Osteruropa, aber genauso unter Einbeziehung literarischer und wissenschaftlicher Texte nähert sich der Autor Schritt für Schritt der Thematik. Sein eigener Verstehensprozess, an dem sich das Buch wie an einem roten Faden entfaltet, orientiert sich an der kontinuierlich mitgeführten Frage, was beobachtbar wird, wenn das Thema von seiner moralischen Verhaftung entbunden wird. Eine Vielzahl von Beispielen und Textanalysen begleitet und unterstützt die Leser bei der Aufspürung und Mitverfolgung der evolutionären Entstehungsspuren und bei der Identifizierung von Vorformen und funktionalen Äquivalenten von Bestechung und Korruption. Die beiden Begriffe erfahren eine klare Konturierung und eine Einbettung in den Bedeutungskontext von Kriminalität und Illegalität. Bestechung wird als ein Medium zur vertraulichen Übertragung von Knappheiten und Korruption identifiziert, als eine eigene Verfahrensweise, die bestehende Verfahrensweisen heimlich der Verhandlung aussetzt. Solange Bestechung nicht verboten ist, können mit ihrer Hilfe in den moralisch negativ belegten
Grauzonen der Gesellschaft neue Strukturen und Medien, wie beispielsweise das Geld oder auch die uns wohl vertraute ›Miete‹ oder ›Miet- und Lohnarbeit‹, evolutionär erprobt und verworfen werden, oder sie können sich als neue Potenziale konsolidieren – bis sie schließlich als Innovationen rechtlich und politisch legitimiert werden. Sobald jedoch Bestechung verboten wird und gleichzeitig die Probleme bestehen bleiben, an denen sie sich entzündet hatte, kommt es zur Verschränkung von Bestechung und Erpressung und in Folge davon zur Erzeugung und Selbststabilisierung korrupter Strukturen. Während Bestechung Knappheitsprobleme durch die Prüfung und den Vollzug der Übertragung von Knappheiten löst, also der Gesellschaft neue Formen der Übertragbarkeit von Knappheiten zur Verfügung stellt, muss Korruption, sobald Bestechung verboten wird, die Frage der Rechtmäßigkeit berücksichtigen: die Vertraulichkeit der Bestechung weicht der Heimlichkeit der Korruption, deren Problemlösung dann darin besteht, dass sie durch die 'Verhandlung des Verfahrens' rechtmäßige Entscheidungen und unrechtmäßige Ergebnisse verschränkt und auf diese Weise der Gesellschaft Vereinbarkeiten von ansonsten Unvereinbarem zur Verfügung stellt. Das Buch bearbeitet mit systemtheoretischen Mitteln ein Thema, das bislang auch von der Systemtheorie vernachlässigt wurde. Und das auf spannende und gut nachvollziehbare Art und Weise, so dass die 'Lärmenden Geschenke' sich nicht nur an ein Fachpublikum, sondern auch an eine allgemeine Leserschaft wenden.