Regulierung des Irregulären

Carework und die symbolische Qualität des Rechts

  • 1. Auflage 2016
  • Erscheinungsjahr: 2016
  • Erscheinungsdatum: 01.08.2016
  • Hardcover
  • 330 Seiten
  • Fadenheftung
  • 22.2 x 14 cm
  • ISBN 978-3-95832-094-9
lieferbar innerhalb von 2 Werktagen
Auf den Merkzettel

Beschreibung


Zwischen 2006 und 2009 wurde die so genannte ›24-Stunden-Pflege‹ – Pflege und Betreuung für ältere Menschen in Privathaushalten rund um die Uhr – in Österreich rechtlich reguliert. Damit wurde den in diesem Feld Beschäftigten und Beschäftigenden erstmals die Möglichkeit eröffnet, ein Arbeitsverhältnis auf Angestellten- oder Selbständigenbasis zu unterhalten. Der in Österreich seit den 1990er Jahren bestehende irreguläre Markt für Carework, auf dem vorwiegend Migrantinnen slowakischer Herkunft und Angehörige von pflegebedürftigen in Arbeitgeber-Arbeitnehmer- Beziehungen agieren, sollte auf diese Weise regularisiert werden – ein politisches Anliegen, das sich als relativ erfolgreich erwies.
Das Buch untersucht aus rechtssoziologischer Perspektive, wie die betreffenden Akteure die Regulierung der ›24-Stunden-Pflege‹ in ihrem Alltag umsetzen. Die Arbeit bedient sich hierfür Pierre Bourdieus fragmentarischer Rechtssoziologie und entwickelt diese mit Hilfe neuerer praxistheoretischer Strömungen entscheidend weiter.In enger Verzahnung von Theorie und Empirie werden auf dieser Grundlage zum einen die Beschaffenheit rechtskonformer Handlungsorientierungen, zum anderen die Möglichkeiten und Grenzen regulativen Rechts in ethnisierten, vergeschlechtlichten, gering formalisierten und gering bezahlten Beschäftigungen im Privathaushalt untersucht.
Das Buch richtet sich an Rechtssoziolog/innen, die an Prozessen der Rechtskonformität interessiert sind, an Kulturtheoretiker/innen, die sich mit Rechtspraxen im Alltag beschäftigen wollen und nicht zuletzt an Wissenschaftler/innen aus der Migrations- oder Wohlfahrtsstaatenforschung, der Arbeitssoziologie, den Gender Studies oder den Pflegewissenschaften.

Andrea Kretschmann


Andrea Kretschmann ist Professorin für Kultursoziologie an der Leuphana Universität Lüneburg und assoziierte Forscherin am Centre Marc Bloch. Bei Velbrück Wissenschaft erschienen: Regulierung des Irregulären. Carework und die symbolische Qualität des Rechts (2016) und Das Rechtsdenken Pierre Bourdieus (Hg., 2019).

Pressestimmen


Andrea Kretschmann hat mit der vorliegenden Publikation im wörtlichen Sinn Licht in den bis heute oftmals im Dunkeln gehaltenen Bereich der 24-Stunden-Pflege gebracht. Ungeachtet des anspruchsvollen wissenschaftlichen Niveaus ist dem Buch zu wünschen, dass es über den Kreis der akademischen Welt hinaus zur Kenntnis genommen wird und die Auseinandersetzung mit dem Care-Thema gesellschaftspolitisch bereichert.
Erna Appelt, Österreichische Zeitschrift für Soziologie, 2018, Vol. 48.
Von generellem Interesse für die Rechtssoziologie ist vor allem, dass die Autorin mit der Bourdieu’schen Praxistheorie einen Ansatz für die Rechtssoziologie weiter entwickelt, der schon seit längerem als vielversprechend gilt. Und sie zeigt, was die Bourdieu'sche Theorie für die Analyse juristischen Alltagshandelns bzw. Rechtsperfor- mativität im Alltag [...] auf anderen Feldern als dem im engeren Sinn juridischen Feld bedeuten kann. [...] weil sie überzeugende Antworten auf viele dringende Fragen der empirischen Rechtsforschung anbietet, ist das Werk für alle wichtig, die sich für Rechtssoziologie interessieren. Es geht um viel mehr als um Carework. Und die Arbeit ist ausgezeichnet geschrieben: Es erwartet Sie in jeder Hinsicht ein intellektuelles Vergnügen.
Eva Kocher, Kritische Justiz, Jahrgang 51 (2018) Heft 1.
Andrea Kretschmann hat mit ihrer rechtssoziologischen Arbeit mit dem Fokus auf das Verhalten der Normadressat_innen im Feld der Care-Arbeit und 24-Stunden-Betreuung die Tur zum Privathaushalt ein Stuck weit geöffnet und Fragen untersucht, die bisherige mikrosoziologische Arbeiten (Karakayali 2010; Emunds & Schacher 2012 u. a.) nicht betrachtet haben.
Kirsten Scheiwe, Zeitschrift für Rechtssoziologie 2017; 37(1).
Kretschmann legt eine unbedingt lesenswerte Studie vor. Aus klassisch rechtssoziologischer Sicht ist es bereits (und noch immer) innovativ, überhaupt mit Bourdieu zu arbeiten. Die Autorin steigert diese Basis-Innovativität noch, indem sie die bourdieusche Skizze an entscheidenden Stellen ausbaut. Die Fruchtbarkeit der Theorie demonstriert sie in einem empirischen Teil, der hohe Komplexität durch eine beeindruckende Interpretationsleistung ordnet, ohne sie zu reduzieren.
Jan-Christoph Marschelke, Zeitschrift für Kultur- und Kollektivwissenschaft Jahrgang 3, Heft 1, 2017.
Empirisch fundiert und theoretisch innovativ verfasst sie eine absolut lesenswerte, weil sehr genaue, fast schon akribische Arbeit, die weit über das behandelte Themenfeld hinaus bedeutsam ist. Die Kernfrage zielt darauf ab, wie formaler, rechtlicher Regulierung auf Gesetzesebene eigentlich ‚ganz praktisch’ zu ihrer faktischen Geltung verholfen wird. Ganz simpel gesagt: Was bringt Menschen eigentlich dazu, rechtliche Regelungen auch zu befolgen? […] Das Buch von Andrea Kretschmann sollte auf unterschiedlichsten Feldern zu ähnlichen Projekten animieren und nicht zuletzt die rechtstheoretische Diskussion um wichtige Impulse bereichern.
Thomas Schmidt-Lux, Juridikum Nr. 3/2017.
Kretschmann verfolgt diese Regulierung des Irregulären aus einer rechtssoziologischen Perspektive und verortet ihre Arbeit innerhalb der Rechtskonformitätsforschung, die untersucht, warum es in der Praxis zum »Phänomen der rechtlichen Normbefolgung« kommt. Kretschmann bereichert die Konformitätsforschung, indem sie Bourdieus bisher kaum zu Rate gezogene praxeologische (Rechts-)Soziologie und Feldtheorie heranzieht, die in der Lage sei, die bisher konkurrierenden Versuche zur Erklärung von Rechtskonformität mit Hilfe »eines soziologischen Fundierungsvokabulars« (93/132) zusammenzuführen.
Robin Mohan, Soziologische Revue 2020; 43(2).