Magazin 03/2020

Das comeback der Gesellschaft, aber wie? Das Loskommen von Luhmann und die Form der Gesellschaftstheorie

Ein beitrag von Tobias Arenz

»Gesellschaft« gehört zu jenen schillernden Ausdrücken sowohl unserer Alltagskultur als auch des akademischen Diskurses, von denen wir zumeist Gebrauch machen, um etwas anderes, z.B. die Veränderungen der Politik, des Rechts, der Wirtschaft, des Sports etc., beschreiben und verstehen zu können. Die Gesellschaft ist dann das, was man »unbegriffen voraussetzen und hinnehmen muss«; sie ist der sogenannte »blinde Fleck« unseres Denkens, Redens und Handelns, der es überhaupt erst möglich macht, bestimmte Sachverhalte in den Blick zu nehmen. Dass wir Phänomene wie Gesellschaft unbegriffen voraussetzen und hinnehmen müssen, ist kein Mangel von Theorie und Praxis, sondern eine ganz normale Tatsache. Ohne blinde Flecken kein Denken, Reden und Handeln.
Zugleich ist es möglich, derartige blinde Flecken selbst zum Thema zu machen, d.h. den Versuch zu unternehmen, sie zu begreifen und dabei anderes im Dunkeln zu lassen. Dabei ist die Gesellschaft nicht mit den quantitativen und qualitativen Mitteln empirischer Forschung zu ergründen, insofern auf die Form der Gesellschaft nicht induktiv geschlossen werden kann. Vielmehr ist im Hinblick auf das Gegenstandsverhältnis mit einer selbstreferentiellen bzw. zirkulären Struktur zu rechnen: Die Gesellschaft ist ein »Medium«, das seine Spuren in den »Formen« des Sozialen hinterlassen hat und hinterlässt; und dort »harren sie der Deutung«. Die Leitfrage der Gesellschaftstheorie ist daher die Frage, wie die Spur der (modernen) Gesellschaft zu lesen ist. Ausgangspunkt der Leitfrage ist zugleich eine Aufforderung und ein Verdacht, die sich aufeinander beziehen lassen. Die Aufforderung ist eine Aufforderung Niklas Luhmanns, ob der Kontingenz gesellschaftstheoretischer Konzeptionalisierungen um die Angemessenheit der systemtheoretischen Selbstbeschreibung der Gesellschaft zu konkurrieren: »Machen Sie es anders, ist die Aufforderung, aber mindestens ebenso gut.« Weiterlesen im PDF