Magazin 07/2005

Die Psychoanalyse – Eine zeitgemäße Wissenschaft?

Erfolg und Krise der Psychoanalyse

In einer breit gestreuten Umfrage, die das »Life Magazine« zur Jahrtausendwende durchgeführt hat, wurde nach den wichtigsten Ereignissen und den wichtigsten Personen des Jahrtausends gefragt. Die Publikation der »Traumdeutung« 1900 kam dabei auf den 32. Platz, ihr Autor, S. Freud, direkt nach Darwin, Galilei und Kopernikus auf den achtundzwanzigsten.
Die Nachbarschaft hätte Freud gefallen. Er hat die Psychoanalyse als die dritte große Zumutung für das menschliche Selbstbewusstsein angesehen: durch Darwin in der Frage der Abstammung, durch Kopernikus in der Frage nach der Stellung im All desillusioniert, wurden durch die Entdeckung des Unbewussten das menschliche Bewusstsein und die Souveränität des Ichs entthront.
Freud konnte an Vorläufer anknüpfen. Die romantische Naturphilosophie, insbesondere Schelling, und die Vernunftkritik Schopenhauers und Nietzsches, die zu einer Würdigung der Triebnatur des Menschen führten, sind hier zu nennen (Marquard 1987). In der Literatur des 19. Jahrhunderts spiegelt sich die Irritation durch unbewusste Handlungsmotivationen und ein nicht artikuliertes Begehren – stellvertretend sind Goethes immer noch höchst lesbaren »Wahlverwandtschaften« des Jahres 1808 zu nennen, in denen explizit von »unbewussten Erinnerungen« die Rede ist und davon, dass »das Bewusstsein (…) keine hinlängliche Waffe, ja manchmal eine gefährliche (ist), für den der sie führt« (vgl. von Matt 1999).
Dennoch ist es erst Freud, der die Erforschung des Unbewussten systematisiert und zu einer Wissenschaft ausbaut. Der Nachweis, dass das eigene Wollen und Handeln sich in den Intentionen des Bewusstseins nicht erschöpft, dass Subjektivität auch und gerade an den Orten zutage tritt, wo man sie nicht vermutet, in scheinbar Nebensächlichem wie Fehlleistungen und Träumen oder scheinbar Defizientem wie Krankheitssymptomen – dieser Nachweis stellt die Bewusstseinstheorien in Philosophie und Psychologie grundsätzlich in Frage, die den Erfahrungshorizont mit den Grenzen des Bewusstseins gleichsetzen. Die Psychoanalyse – so wird rückblickend klar – reiht sich ein in die großen Denkansätze des 20. Jahrhunderts, die die jenseits der eigenen menschlichen Intention liegenden Bedingungen und Ordnungen des menschlichen Lebens herausarbeiten, seien es nun die vorsubjektiven Strukturen im Strukturalismus, die vor aller Reflexion liegenden Weisen des In-der-Welt-seins in der Existenzialphilosophie, die gesellschaftlichen Diskurse, die sich in das Denken des Individuums einschreiben, in der Diskursanalyse, oder den Vorrang des Gesprächs vor dem individuellen Denken in der Hermeneutik. Zum vollständigen Artikel (pdf)