Magazin 05/2022

Gesa Lindemann wird 66

»Leib. Grenze. Kritik.« – So lautet der Titel einer gerade bei Velbrück Wissenschaft erschienenen Festschrift. Wer mit der Soziologie vertraut ist und diese drei Begriffe zusammen sieht, weiß sofort: Jetzt kann es nur um Gesa Lindemann gehen. Kolleginnen und Kollegen im umfassenden Sinne des Wortes, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nämlich, die von dem Werk der Jubilarin in der einen oder anderen Weise berührt sind und sich mit diesem auseinandersetzen: teils anwendend, teils weiterentwickelnd; teils einordnend, teils kritisch, gratulieren ihr im Velbrück Wissenschaft Magazin und schreiben, was sie an der Arbeit von Gesa Lindemann schätzen. Langjährige Weggefährten und neue Begleiter genauso wie Förderer und Geförderte, Genossen und Gegner im intellektuellen Streit – sie alle verbindet der Bezug auf das Werk von Gesa Lindemann.

 

»Die Frage nach der Subjektivierung setzt implizit eine Auszeichnung jener Entitäten voraus, die überhaupt als Subjektkandidaten infrage kommen: Mit dieser Einsicht wendet Gesa Lindemann das Programm einer reflexiven Soziologie auch auf die Erforschung von Praktiken der Subjektivierung.«

Thomas Alkemeyer

 

»Von Gesa Lindemann lernen heißt: Schau auf deine Prämissen! Mache sie transparent, verstehe und übernehme die Konsequenzen!«

Jonas Barth

 

»Gesa Lindemanns Schriften haben mir während meiner Promotion gezeigt, dass eine Interpretation des Plessner’schen Werks ohne anthropologische Verkürzungen möglich ist, was mich sehr inspiriert hat.«

Katharina Block

 

»Gesa Lindemann ist eine streitbare und konsequente Denkerin, die mich immer wieder gezwungen hat, eigene Positionen zu überdenken. Zum Verständnis der Voraussetzungen, unter denen liberale, menschenrechtliche Gesellschaften möglich sind, hat sie wegweisendes geleistet. Ihre Schriften demonstrieren, wie eine begrifflich und theoretisch reflektierte Sozialwissenschaft möglich ist.«

Marcus Düwell

 

»Merkwürdig bleibt, dass Gesa Lindemann und ich seit Anfang der 90er Jahre uns auf zwei zunächst völlig verschiedenen Themenfeldern kontrovers begegneten: Plessners Philosophischer Anthropologie einerseits, der Sozialtheorie des Dritten andererseits. Diese zweifache intellektuelle Überschneidung hat uns beide überrascht und wurde für mich insofern wichtig, weil ich die Plausibilität meiner eigenen Theorietechnik besser verstehen und prägnanter fassen konnte als es vermutlich ohne die immer erneute Auseinandersetzung möglich gewesen wäre – dafür sollte man eigentlich dankbar sein.«

Joachim Fischer

 

»Die für mich interessanteste Idee, die mich auch in die Soziologie gebracht hat, ist, dass nicht nur die Konstruktionen, die Menschen anfertigen, historisch kontingent sind, sondern auch der Kreis derer, die als Personen solcherlei Konstruktionen anfertigen können, historisch kontingent ist. Das Besondere ist nun, dass Gesa Lindemann aus dieser Idee nicht eine Relativierung solchartiger Konstruktionsleistungen folgen lässt oder gar als ›nur‹ konstruiert fassen würde, sondern vielmehr ein wissenschaftliches Programm entwickelt hat, mit dem die selbstverständlichsten Prozesse der Grenzziehung zwischen sozialem Akteur und anderem in den Blick geraten können.«

Johanna Fröhlich

 

»Zu den besonderen wissenschaftlichen Verdiensten Gesa Lindemanns zähle ich, dass sie die Soziologie mit der Neuen Phänomenologie von Hermann Schmitz bekanntgemacht hat. Für meine eigenen Arbeiten ist Lindemanns Schmitz-Rezeption seit mehr als 20 Jahren eine große Unterstützung – und wird dies sicherlich auch in Zukunft bleiben.«

Robert Gugutzer

 

»Den Menschen in seiner Unverfügbarkeit ernst nehmen, gesellschaftliches Selbstverstehen befördern, auch eigene Prämissen hinterfragen – damit sprechen mir Werk und die Wissenschaftlerin Gesa Lindemann aus dem Herzen.«

Anna Henkel

 

»Die Möglichkeit, das Soziale von seinen Grenzen her zu denken, ist im Kontext einer soziologisch und sozialwissenschaftlich orientierten Demenzforschung von großer Bedeutung. Für uns sind dabei das Denken und die Arbeiten Gesa Lindemanns leitend und herausfordernd zugleich.«

Jonathan Serbser-Koal & Martina Roes

 

»Dass die Moderne sich als universalistische Werteordnung nicht durch den zwanglosen Zwang des besseren Arguments entfaltet, sondern gewaltsam durchsetzen und behaupten muss: Diese Kränkung eines Selbstverständnisses als pazifistische Moderne ist eine der soziologischen Aufklärungen, auf die uns Gesa Lindemann aufmerksam macht.«

Uwe Schimank

 

»Gesa Lindemann konzipiert Gewalt nicht als soziales Problem, sondern vielmehr als Konstituens sozialer Ordnungsbildung. Gewalt ist demnach als Bestandteil kommunikativer Vermittlung von Ordnung zu begreifen und auch nur mit Bezug auf institutionelle Ordnungen verstehbar.«

Tina Schröter

 

»Während sie fraglos hingenommenen Gewissheiten mit präziser Kritik den Boden unter den Füßen wegreißt, bietet Gesa Lindemann mit ihrem Werk eine detailliert ausgearbeitete und empirisch fundierte soziologische Theorie auf allen Theorieebenen an. Ihrem hartnäckigen Insistieren auf Präzision und Explikation sozialtheoretischer Prämissen verdanke ich nicht nur tiefere Einsichten in die Grundlagen der Disziplin, sondern gerade auch in die Praxis soziologischen Erkenntnisgewinns. Die Reflexivität der Theoriekonstruktion nach dem Vorbild Lindemanns verlangt den Forschenden eine manchmal unbequeme begriffliche Disziplin ab, die den Forschungsprozess aber umso gehaltvoller macht.«

David Schünemann

 

»Gesa Lindemann beeindruckt immer wieder durch innovativ-überraschende neue Einsichten in der Sache, durch nachdrückliche Performance ihrer Vorträge und durch in der Wissenschaftslandschaft leider seltene, und deshalb umso bemerkenswertere Kantigkeit.«

Volker Schürmann

 

»Was mich an den Arbeiten Gesa Lindemanns besonders beeindruckt hat: dass sie sich ungeachtet der zeitdiagnostischen Prävalenzen der gegenwärtigen Soziologie hartnäckig und unbeirrbar um eine Vermittlung von sozialtheoretischer Fundierung und empirischer Forschung bemüht.«

Günter Ulrich