Systemtheorie und Erzählen

Zu Tod, Plotting und Individualität in Virginia Woolfs The Voyage Out

  • 1. Auflage 2025
  • 22,2 cm x 14,0 cm
  • ca. 670 Seiten
  • broschiert
  • Sprache des Textes: Deutsch
  • Erscheint: Dezember 2025
  • ISBN 978-3-95832-416-9
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Beschreibung


Handelt es sich bei Virginia Woolfs Debütroman The Voyage Out um einen Reiseroman? Einen Liebesroman? Einen Bildungsroman? Ja, aber. Ralf Kellermann zeigt – unter Zuhilfenahme und Erweiterung der Systemtheorie Niklas Luhmanns –, dass in einiger Hinsicht schon Woolfs erster Roman auf das zielt, wofür die Autorin oft gelobt wird: auf die Überwindung von Plot und narrativer Identität und auf die Infragestellung des Konventionellen.

Mit Hilfe der Systemtheorie Niklas Luhmanns und den Erzähltheorien von Greimas, Eco und Baroni entwirft Ralf Kellermann ein differenzierteres Bild, das die Analyse der narrativen Form mit einer literatursoziologisch-verstehenden Deutung des Textes verbindet. Er zeigt, dass dieser Erwartungen an die Form erzählter Geschichten zwar irritiert, aber nicht außer Kraft setzt. Auch die narrative Konstruktion von Individualität wird weniger überwunden als verändert: Entworfen wird eine Protagonistin, die sich im Medium einer Bildungsgeschichte um soziale Integration bemüht. Gleichzeitig ersehnt sie den Abstand zur Gesellschaft.

Diese Ambivalenz wird aus Sicht zweier sozialer Systeme gedeutet: Politisch gelesen wird die narrative Inszenierung von Tod und Scheitern als politischer Einspruch gegen patriarchale Konventionen, die es einer Frau schwer machen, sich als Person zu etablieren. Gleichzeitig wird die individuelle Distanz zur Gesellschaft zur erhabenen Unfassbarkeit stilisiert. Die narrativen Experimente fungieren als Medium der Protestkommunikation. Aus Sicht der Kunst wird Woolf oft dafür gelobt, dass sie im Medium ihrer Prosa ein authentisches Bild vom Bewusstsein vermittelt. Kellermann unterstellt dagegen, dass Woolf das Bewusstsein zum Thema macht, um auf originelle Weise anders zu erzählen und ihr Werk als innovatives Kunstwerk zu autorisieren.

Notwendig ist dazu eine intensive Auseinandersetzung mit der Systemtheorie Luhmanns, deren »semiotisches Defizit« mittels Verbindung mit rezeptionssemiotischen Erzählmodellen behoben wird. Narrative Texte werden damit nicht zu Systemen, sie lassen sich jedoch aus der Sicht unterschiedlicher sozialer Systeme als Medium und Form der künstlerischen und außerkünstlerischen Kommunikation verstehen.

Ralf Kellermann


Ralf Kellermann

Ralf Kellermann studierte Anglistik, Germanistik, Philosophie und Pädagogik in Hamburg, Tübingen und Berkeley. Er ist Lehrer an einem Ludwigsburger Gymnasium. Daneben ist er Schulbuchautor, war langjährig Mitherausgeber der Zeitschrift Ethik und Unterricht und hatte Lehraufträge für Cultural Studies und Ethikdidaktik an mehreren Hochschulen.