Gewalt ohne Grund

Über die narrative Bewältigung von Amokläufen

  • 1. Auflage 2016
  • Erscheinungsjahr: 2016
  • Erscheinungsdatum: 01.11.2016
  • Buch
  • 308 Seiten
  • 22.2 x 14 cm
  • ISBN 978-3-95832-097-0
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Beschreibung


Amokläufe sind Beispiele für vermeintlich »grundlose« Gewaltereignisse, die einen ernsten gesellschaftlichen Erklärungsnotstand hervorrufen. Die Beliebigkeit von Tätern und Opfern, das Fehlen von verständlichen Motiven sowie die Ausführung der Taten als rational geplante Exzesse werden in modernen Wissens- und Risikogesellschaften, in denen nichts ohne letzte Ursache bleiben darf, zur Anomalie.
Das vorliegende Buch beschäftigt sich aus kultursoziologischer Perspektive mit der gesellschaftlichen Bewältigung von Amokläufen. Es thematisiert die sozialen Mechanismen und narrativen Muster, die aus der »grundlosen« Gewalt Sinn und Bedeutung schöpfen. Die Studie folgt daher einem konstruktivistischen Paradigma. Ihr Ziel ist es nicht, einen Erklärungsversuch zu unternehmen, sondern die Debatte um Amokläufe selbst deutend zu verstehen, um aus den Ergebnissen Erkenntnisse in Bezug auf das Selbstverständnis der Gesellschaft zu gewinnen. Inhaltlich gliedert sich die Arbeit in drei Abschnitte. Aus einer historischen Perspektive wird der Ursprung des archaischen Amoklaufs im südostasiatischen Raum beleuchtet und mit den ersten modernen, als »Amokläufe« beschriebenen Ereignissen in Deutschland und Amerika verglichen. Den theoretischen Zugang bildet die Auseinandersetzung mit Phänomenen des Außerordentlichen: Ereignis und Erzählung, Gewalt und Überschreitung, Risiko und Solidarität. Von besonderer Bedeutung sind die Erkenntnis, dass es bislang wenig systematische Auseinandersetzungen mit dem Problem der Grund- und Sinnlosigkeit in der (Gewalt-)Soziologie gibt sowie Vorschläge, diesem Desiderat kultursoziologisch beizukommen. In der empirischen Analyse wird die printmediale Berichterstattung über die deutschen Amokläufe von Erfurt (2002) und Winnenden (2009) mit den Methoden der qualitativen Inhalts- und Narrationsanalyse untersucht. In den Debatten um rsachen und Motive, Schuld und Verantwortung sowie Sicherheit und Prävention zeigt sich, wie gerade das vermeintlich »Sinnlose« zur Sinnstiftung zwingt und das bedrohliche »Nichts« eine Überfülle an Bedeutung produziert.

Marco Gerster


Marco Gerster, geb. 1983, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Makrosoziologie von Professor Bernhard Giesen an der Universität Konstanz.

Pressestimmen


Mit seiner Erkenntniskraft sowie der vollendet-systematischen Klarlegung der Fragestellung zum Topos ›Amok‹ hat Marco Gerster einen elementaren ›Pflock‹ für tief- und weitreichende Erkenntnisse eingeschlagen.
Walter Prankl, Kultur-Punkt.ch, Januar 2017.
Die Untersuchung (…) stellt einen bedenkenswerten und weiterführenden Baustein zur Frage dar, wie Gesellschaften mit Gewalt, Aggression, Verbrechen und abweichendem Verhalten umgehen, human oder inhuman!
socialnet.de, 20.12.2016, Jos Schnurer.
[Gerster] erklärt, indem er zeigt, und er zeigt, indem er erklärt, welche Ereignisse oder Situationen die Gesellschaft als ordnungsgefährdend definiert und wie sie mit solchen Ereignissen praktisch umgeht, um sich selbst kulturell zu integrieren. Gerster leistet damit nichts weniger als einen wesentlichen Beitrag dazu, die kulturelle Integration moderner Gesellschaften funktional zu erklären.
Jörg Hüttermann und Johannes Ebner, Soziologische Revue 2020; 43(4).