Beschreibung
Der Inhalt des positiven Rechts ist sein Gebrauch vor Gericht – eine Gebrauchstheorie des Rechts, die alle Strukturen, Linien, Verbindungen der Gerichtstätigkeit hinter den Paravent der Praxis zieht und dem vorausschauenden Blick der Rechtssuchenden nur noch die zeitlose Rechtsproduktion offenbart, in der Fall auf Fall entschieden, Urteil für Urteil erlassen, Recht für Recht gesprochen wird, Monaden, Fragmente, Partikel, Splitter, die keine Geltung entfalten, weder in der Vergangenheit noch für die Zukunft. Alles Recht ist Richter-Recht.
Die geläufige Unterstellung, das Wesen des Rechtspositivismus liege im realitätsvergessenen Nachvollzug legislativer Vorgaben, ist längst als Legende entlarvt. Von diesem historischen Befund ausgehend, versucht die Studie, das Zeitalter der Vollpositivierung allen Rechts theoretisch zu rekonstruieren: das Netz von juristischen Kommunikationen nachzuzeichnen, das sich seit dem 18. Jahrhundert über die Rechtswelt legte – hunderte Zeitschriften, tausende Monographien, zehntausende Aufsätze und unzählige Urteile, die einander widersprachen, ergänzten und korrigierten. Daraus entwickelte sich ein Rechtsdiskurs, der sich in seiner Komplexität bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts jeder Steuerung von außen entzog. Recht-Sprechung wurde zum Selbst-Gespräch. Die Realität des Richterstaats ist demnach keine Überwindung des Positivismus; sie ist vielmehr dessen volle Entfaltung.