Beschreibung
Im Unterschied zu Kulturkonzepten, die Kultur als Summe von Kunstphänomenen oder als System semiotischer bzw. symbolischer Einrichtungen konzipieren, entwickelt Siegfried J. Schmidt ein prozessuales Kulturkonzept, das nicht auf der Ebene kultureller Phänomene ansetzt, sondern Kultur als Programm zur Generierung für kulturell gehaltener Leistungen und Phänomene im weitesten Sinne und für alle Systemtypen einer Gesellschaft modelliert. Damit soll eine Beschränkung auf eine bestimmte Kultur, etwa eine Nationalkultur, sowie eine Beschränkung auf einen bestimmten Phänomenbereich, etwa den Bereich symbolischer Formen, vermieden werden.
Es geht in diesem Buch also darum, ein Beobachtungs- und Beschreibungsmodell zu entwickeln, das auf beliebige empirische Phänomene bzw. Fälle angewandt werden kann – indem jeweils spezifisch untersucht wird, welches Kategorien-, Beobachtungs- und Bewertungsmanagement sozial und politisch praktiziert wurde/wird, um Probleme wie Religion, Macht, Gender, Wirtschaft, Wissenschaft, Fremdheit, Kolonialismus usw. zu bearbeiten.
Dieser Ansatz beruht auf einer Prozess-orientierten Erkenntnistheorie, die versucht, herkömmliches dualistisches Denken und Argumentieren zu vermeiden. Daraus folgt ganz allgemein, dass Kultur von vornherein nicht als eine Entität oder eine abgeschlossene Identität konzipiert wird, sondern als ein variables Programm – sozusagen als Software – gesellschaftlicher Sinnorientierungen und Problemlösungen.
Kultur wird mithin nicht inhaltlich über Objektivationen, Themenbereiche, Formen von Identitäten (wie Heiliges, Profanes, Lebensformen, Texte, Symbole, Rituale usw.) bestimmt, sondern es geht vielmehr darum, das Orientierungsschema herauszufinden, das bei der Produktion und Einschätzung von für kulturell gehaltenen Phänomenen wirksam ist.