Magazin 03/2022

»To the other end / Where it begins«

Von Jan-Philipp Kruse

Dystopien haben Konjunktur. Kaum eine jüngere Erzählung, die sich in irgendeiner Weise mit der Zukunft auseinandersetzt, vermag sich darunter offenbar etwas anderes als eine Katastrophe vorzustellen. Dabei lässt sich beobachten, dass sowohl die Inhalte als auch die Herstellung, Distribution sowie Rezeption von Dystopien zusehends von der Digitalisierung geprägt sind. Digitalisierung verweist von sich auf die Idee des Fortschritts, als eine eigentlich eingespielte Kategorie gesellschaftlicher Selbstverständigung. Die digitale Dystopie zeigt jedoch an, dass diese Idee in große Schwierigkeiten geraten ist. Für das Velbrück Wissenschaft Magazin dechiffriert der Autor – aufbauend auf seinem im Januar erschienenen Buch – die Probleme des Fortschrittsbegriff als Semantische Krise.

Dystopien haben Konjunktur. Kaum eine jüngere Erzählung, die sich in irgendeiner Weise mit der Zukunft auseinandersetzt, vermag sich darunter offenbar etwas anderes als eine Katastrophe vorzustellen. Digital sind dabei zunächst die Gegenstände des Dystopischen: Von »HAL 9000« über »Skynet« bis hin zu aktuellen Variationen des künstlichen Menschen erscheinen sie als Mittel, das seinen Urhebern entweder zauberlehrlingshaft über den Kopf wächst oder deren meistens malevolente Absichten in eine ungeheuerliche Tat umsetzt. Schon die wenigen genannten Beispiele illustrieren, dass Dystopien sich thematisch bereits seit Längerem mit Digitalität auseinandersetzen.

Neuer ist demgegenüber der Befund, dass auch ihre Herstellung, Distribution sowie Rezeption zusehends digital geprägt sind. Dystopische »Qualitätsserien« wie The Handmaid’s Tale (2017–) lassen erkennen, dass sie beispielsweise erwarten, nicht in periodischen Abständen ausgestrahlt, sondern am Stück gestreamt zu werden. Die ästhetische Reflexion ist so selbst ins Zentrum einer Entwicklung geraten, welche sie vorher aus größerer Distanz beschrieben oder antizipiert hatte.

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